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Montag, 14. Juli 2014

Zitate guter Literatur: Die Vermessung der Welt

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Phu! Nach fünfstündiger Exzerptionsarbeit am Korpus für die Masterarbeit und dem Fußball-Feier-Chaos von gestern bin ich ganz schön geschafft! Doch bevor es raus zu einem Spaziergang geht, kommt heute mal wieder ein ZGL: Zitat guter Literatur. Und diesmal ist es sogar ein selbstironisches! Wer mich kennt - oder meine "Über-mich-Seite" gelesen hat, ahnt ja vielleicht schon, dass ich mich in meinem Studium hauptsächlich auf die Sprachwissenschaften fokussiert habe.

Es folgt also ein Zitat aus Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt":

"Gauß, der zuvor nicht zugehört hatte, bat den Diplomaten, seinen Namen zu wiederholen.
Der Diplomat tat es mit einer Verneigung. Er sei übrigens auch Forscher!
Neugierig beugte Gauß sich vor.
Er untersuche alte Sprachen.
Ach so, sagte Gauß.
Das, sagte der Diplomat, habe enttäuscht geklungen.
Sprachwissenschaft. Gauß wiegte den Kopf. Er wolle ja keinem zu nahe treten.
Nein, nein. Er solle es ruhig sagen.
Gauß zuckte die Achseln. Das sei etwas für Leute, welche die Pedanterie zur Mathematik hätten, nicht jedoch die Intelligenz. Leute, die sich ihre eigene notdürftige Logik erfänden.
Der Diplomat schwieg.
Gauß fragte ihn nach seinen Reisen. Er müsse ja wirklich überall gewesen sein!
Das, sagte der Diplomat säuerlich, sei sein Bruder."

Na, was meint ihr? Ein bisschen Recht hat er ja schon, der alte Gauß! Wer Germanistik studiert, kennt vielleicht die anhand mathematischer Funktionen dargestellten Beschreibungen von Satzbedeutungen der Formalen Semantik und dergleichen (mein Forschungsschwerpunkt weist diese zum Glück nicht auf - nichtsdestotrotz kann man auch ihm eine gewisse Ordnungsliebe nicht aberkennen).

Na, und den Diplomaten kennt er sicherlich auch: Es handelt sich in diesem Roman nämlich um niemand anderen als den Bildungsreformer und Sprachphilosophen Wilhelm von Humboldt. Die "Vermessung der Welt" in Kehlmanns Roman betreibt allerdings sein abenteuerlustiger Bruder Alexander von Humboldt. Wer das Buch also noch nicht gelesen hat und auch auf Fiktion gepaart mit historischen Tatsachen steht, sollte sich diesen Roman wirklich mal zu Gemüte führen.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Zitate guter Literatur: Heimkehr

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"Es muß in den letzten Tagen des Oktober gewesen sein; Jahr für Jahr ein besonderer Monat für mich, als würde ich den Wendepunkt meiner Geburt jedes Jahr aufs neue erleben. Ich empfinde den Herbst als die frohe Jahreszeit einer schönen Nüchternheit; das Keimen, Knospen, Blühen und Sprießen, dieser ganze Frühlingsaufbruch, macht mich reizbar, beunruhigt mich auf lästige Weise; den Sommer mit seiner Überstürztheit, seinen lähmenden Hitzewellen, seinem wütenden Donnergetöse finde ich ganz und gar hysterisch, scheint die Natur doch zu tun, als wolle sie etwas hastig, mit ruckartigen Stößen zu Ende bringen; im Winter aber fällt in unseren Gegenden zuwenig Schnee, sein trostloses Grau macht müde und lustlos. Meine Jahreszeit ist der Herbst. Mit seinem strahlenden Himmel, seinen morgendlichen Nebeln, seinem Rauchgeruch, den lang anhaltenden Regengüssen, seinen bunten Beeren, seiner Gemütlichkeit, den Weinfliegen, dem Reif in der Frühe, den Frösten."
Péter Nádas "Heimkehr" (1999) 

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Gewidmet einem besonders kreativen und intelligentem Kopf der heute Geburtstag hat 
und allen anderen Oktoberkindern da draußen.

Freitag, 24. August 2012

Zitate guter Literatur: Schoßgebete

Im Urlaub habe ich nach leichter Lektüre für die lange Autofahrt gesucht. Dies stellte sich angesichts der Unfallthematik in Charlotte Roches Schoßgebete zwar als nicht sehr clever heraus, da ich selbst an Autofahrphobie leide, nichtsdestotrotz hat mir das Buch ziemlich gut gefallen. Ob man hier jetzt wirklich von Literatur sprechen kann, sei dahingestellt - Aber ein muss ich sagen: Im Vergleich zu Feuchtgebiete, das ich dann vergleichshalber gleich im Anschluss gelesen habe, kann man bei Schoßgebete immerhin einen tieferen Sinn ausfindig machen - wenn man möchte.

Wie im letzten ZGL Post stelle ich euch auch heute ein paar gute, ehrliche, einfach word-haftige und teilweise auch lustige Textstellen vor.

Liebe & Sex


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"Wie zwei Kometen sind wir aufeinander zugeflogen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Aber ohne dass wir das bemerkt haben. Es lief praktisch in einem Programm im Hinterkopf ab, wie ein Trojaner auf einem Computer, jenseits unserer bewussten Wahrnehmung. Wir dachten einfach: Schön, wie wir uns verstehen, wir müssen unbedingt Freunde werden. Wir fühlten uns wie Seelenverwandte, rein platonisch, versteht sich."

"Früher habe ich mir von meinem Mann unbedingte Treue gewünscht. Wie macht man das wieder rückgängig? Meinung geändert! Nach sieben Jahren. Haha. Und jetzt?"

"Ich weigere mich abends im Bett Sex zu haben. Weil ich dann nie weiß, was los ist. Wenn wir nebeneinanderliegen und nicht wissen, ob der andere jetzt will oder nicht oder schlafen oder nicht. Das ist doch verwirrend. Jedenfalls für mich. Und dann kann ich nicht einschlafen. Wenn ich die ganze Zeit überlege, atmet der jetzt so, weil er Sex haben will, oder schläft er längst?"

"Sie sagt: >>Ich heiße Lumi.<< Und schüttelt meine Hand. Wir werden in ein paar Minuten Sex haben, und sie schüttelt meine Hand. Lustig! Deutschland." 

Atheismus & Aktionismus


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"Egal, wie ich aussehe, egal, wie ich rieche, ich kann immer dahin, egal in welchem Zustand. Sagen das nicht die Spinner über ihren Gott, normalerweise? Aber die sind sich nicht ganz sicher und waschen sich doch lieber für ihn, falls er doch nicht so lieb ist, wie sie ihn erfinden."

"Christen halten die seelische Obdachlosigkeit nicht aus, wie ich sie mein Leben lang in vollem Bewusstsein aushalte: Das Leben ist sinnlos, die Erde ist sinnlos, wir sind Zufall, und es gibt niemals ein Leben nach dem Tod. Die denkn sich einfach als Selbsttröster ein Leben nach dem Tod aus, weil sie es gerne, so dringend gerne, hätten, dass wir wichtiger oder besonderer sind als Tiere. Sie reden sich ein, für sie kommt danach noch der Himmel. You wish!"

"Nein, ich gehe einfach von dem Schlimmsten aus, damit ich nicht so dumm bin wie die Gläubigen. [...] Der liebe Gott wird schon seinen Grund haben, warum er diese reinen Seelen zu sich geholt hat. Fickt euch! Niemand holt hier niemanden. Dinge passieren, und wir müssen damit leben, klarkommen, darüber verrückt werden, egal, aber doch nicht gläubig werden, verdammt."

"Alles hat schon seine Gründe. Wir verstehen sie nur nicht. Ja klar. [...] Wir sehen uns auch alle wieder. Klar. [...] Ist aber nicht so. Wir sehen uns nie wieder. An welcher Stelle der Evolution zwischen Affen und Neandertalern wurde uns denn plötzlich die Seele eingehaucht? An keiner. Wir sind Tiere und sehen uns nach dem Tod nie wieder, so wie die ganzen von uns überzüchteten Masthühnchen sich auch nicht wiedersehen nach dem Tod, im Hühnchenhimmel."

"Ich muss mir die Welt in Gut und Böse einteilen, weil ich sonst unfähig werde, politisch zu sein. Wenn man alle Fürs und Widers und Ausnahmen von der Regel beachtet, ist man nachher so verwirrt, dass man gar nichts mehr macht. Gegen nichts. Wenn man aber die Menschen einteilt in gute und böse, Firmen in gute und böse, dann kann man auch was unternehmen, Man muss sich entscheiden, wogegen man ist. Was man gut findet. Und dann: Rann an die Buletten. [...] Ich, Umweltnonne."

Schmerz & Tod


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"Wir halten nicht zusammen. Wir halten auseinander."

"Wenn Menschenfleisch verbrennt, riecht es nach gegrilltem bauchspeck, hab ich mal gelesen."

"Ich hasse es, alleine zu sein mit diesen gedanken, immer so ekelhafte Gedanken, entweder Tote oder anal, was anderes gibt's wohl nicht in meinem Kopf?"

"Ich habe Angst vor Psychopharmaka. [...] Wenn ich so depressiv bin, dass ich sterben will, kommt oft vor, dann nehme ich doch kein Mittel, was mich dran hindert. Außerdem habe ich immer das Gefühl, Depression ist genau das richtige Gefühl in dieser Welt, warum sollte ich das mit Medikamenten wegmachen? Die depressive Weltsich ist die richtige Weltsicht."


Ja das sind schon so einige Textstellen - man merkt wohl, dass ich das Buch mag. Hätte ich selbst nicht gedacht. Und da fragt man sich doch, wieso ganz Deutschland von Feuchtgebiete gesprochen und bei diesem hier kaum einen Murks gemacht hat. Ist wohl nicht so provokativ, wie das andere. Aber Provokation allein, macht noch kein gutes Buch, oder? Und wieso zum Teufel, wird es in der Erotikabteilung einer Buchhanldung verkauft? Unfälle, Tod, verbranntes Fleisch und Depression sind nicht gerade erotisch. Davon hätte auch ruhig etwas im Klappentext stehen können, anstatt:

"Sie liegt immer auf der Lauer, ist immer kontrolliert, immer aufs Schlimmste gefasst. Nur beim Sex ist Elizabeth Kiehl plötzlich frei, nichts ist ihr peinlich. Dann vergisst sie alle Pflichten und Probleme. Und hat nur ein Ziel vor Augen - mit der Liebe ihres Lebens für immer zusammenbleiben." 

- Wie wärs mit

Achtung in diesem Roman geht es hauptsächlich um einen Autounfall, der eine ganze Familie und unter anderem Elizabeth Kiehls Persönlichkeit zerstört hat. Lesen sie ihn nicht, wenn sie selbst gerade in einem Auto sitzen und Angst haben vom nächsten LKW überrollt zu werden. Ach ja und nebenbei schläft Elizabeth Kiehl auch mal mit ihrem Mann oder einer Prostituierten. 

- Okay, würde sich wohl nicht so gut verkaufen dann.



Den ersten Teil der Serie ZGL - Zitate guter Literatur finder ihr hier: Klick!

Und geschickt, wie ich bin, habe ich durch das Einfügen thematischer Bilder diesen Post gleichzeitig mit einem Zeitfenster-Post verknüpft. Ich Fuchs! Die drei hier gezeigten Bilder sind also schon ziemlich alt und entsprechen dem Spätmittelalter meiner fotografischen Evolution. Mehr aus der Zeitfenster-Serie gibt's hier: Klick!

Donnerstag, 5. Juli 2012

Zitate guter Literatur: Der geteilte Himmel

"Er mußte sich ihrer immer wieder neu versichern. Er fuhr leicht mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht, über die Stirn, die zart eingebuchteten Schläfen, von den Augenbrauen zu den samtig behaarten Wangen. Sie lehnte sich zurück."

"Wie alle Liebenden hatten sie Angst um ihre Liebe. Sie fühlten sich kalt werden bei einem gleichgültigen Blick des anderen, ein ungeduldiges Wort verdunkelte beiden den Tag."

"'Wissen Sie', sagte er, 'als Chemiker kann ich den kosmischen Zufall auskosten, der auf diesem Planeten Leben entstehen ließ, darunter Wesen wie mich und Sie. Leiten wir aus solchen Zufällen nicht gar zu viele Forderungen an uns ab? Wer sagt uns denn, daß es nicht ein ziemlich belangloser Zufall war. Warum alles so ernst nehmen?'"

"Diese Stille zu den Feiertagen! Diese Langeweile, die sich mit den gutgekleideten Menschen auf die Straßen ergoß! War es das, worauf man seit Wochen zurüstete: das Fest? Kaum verbarg man voreinander seine Enttäuschung."

"Ich weiß nicht, denkt Rita, wann ihm klar wurde, daß er das Leben unerträglich fand. Ich weiß nicht, wann wir anfingen, aneinander vorbeizureden. Die ersten Zeichen muß ich übersehen haben. Ich war seiner zu sicher geworden. Ich betrog mich, indem ich mir immer wiederholte: Was auch geschieht - wir lieben uns."

"'Gleich kommt einer deiner berühmten unerfüllbaren Wünsche', sagte Manfred. 'Ja', sagte sie schnell. 'Schön anziehen können und weit wegfahren. Aber sehr schön und sehr weit.' 'Und ohne mich', fügte er hinzu. Das fürchtete sie an ihm, daß er jede Klage von ihr als Anklage nahm."

"Du wirst weiter so durch die Welt rennen. Du wirst immer eifersüchtig sein. Und? Wir werden uns weiter lieben. Aber Rita wusste jetzt: Wir sind gegen nichts gefeit. Wir sind allen Gefahren genauso ausgesetzt wie andere Leute. Uns kann alles passieren, was anderen passiert."

"Sie vergaß dieses Wissen wieder. Nur manchmal merkte sie, daß sie jetzt täglich auf ein Unglück wartete."

(Wolf, Christa (1968): Der geteilte Himmel. 4. Auflage. Leipzig: Reclam)


Na, was meint ihr wie es ausgeht?

Übrigens: Printed in the German Democratic Republik 1968 steht hinten noch drin. Und: Der Vertrieb ist in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin ist nicht gestattet.

Ich weiß nicht ob es Zufall oder Schicksal war, dass ich mich in der Bahn zu diesem vergessenen Buch gesetzt habe...

Soulmates never die.

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